Was ist Nachhaltigkeit und wie könnte sie gemessen werden?

 

Dr. Udo Wintringer

Letzte Bearbeitung: 15.03.2010

Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Globalisierung und Nachhaltigkeit sind Begriffe, die derzeit in aller Mund sind. Sie sind nicht mehr voneinander zu trennen.

Heute kann es niemand mehr gleich sein, ob in China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt. Ein solches Ereignis hat heute globale Auswirkungen, sowohl auf die soziale als auch auf die ökologische Nachhaltigkeit. - Mindestens auf diese beiden Dimensionen des „magischen Dreiecks" der Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit wird in einer Liste von Unternehmensleitzielen, zumindest bei Schweizer Unternehmen an siebter Stelle und von 12 % aller Unternehmen genannt. Neben oder parallel zum Umweltschutz ist Nachhaltigkeit als Führungswert in den folgenden nunmehr deutschen Unternehmen zu finden: BASF, Bayer, BMW, E.ON, Metro und Volkswagen

Inzwischen gestehen selbst Amerikaner ein, dass nachhaltiges Wirtschaften eine conditio sine qua non für das Überleben der gesamten Menschheit ist und dass die Globalisierung diesen Prozess noch beschleunigt. Es heißt , dass in der Tat aus Menschen die einem geringen ökologischen Fußabdruck hinterlassen immer schneller Menschen werden, deren ökologischer (und sozialer) Fußabdruck größer wird als zu irgendeiner Zeit in der menschlichen Geschichte. Zwar gäbe es noch immer viele Optimisten, die davon ausgehen, dass die Erde auch eine Verdopplung der Bevölkerungszahl problemlos tragen könne. Aber es gibt keinen, der seriöserweise behauptet, dass das zwölffache des derzeitigen ökologischen Fußabdruckes von der Erde ausgehalten werden könnte. Das ist aber der Wert, der sich ergäbe, würden alle heute in sich entwickelnden Ökonomien lebende Menschen auf das Niveau des durchschnittlichen Westeuropäers oder Nordamerikaners gehoben oder sich dort hinbewegen. Und die Entwicklung in diese Richtung ist in vollem Gange. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass schon in 2006 alleine in Peking die tägliche Anzahl an neu und zusätzlich zugelassenen PKW ca. 1.000 Stück betrug, also 30.000 Stück monatlich mit allen sozialen und ökologischen Folgekosten. Aktuelle Zahlen sprechen sogar eine noch deutlichere Sprache. In 2009 wurden in ganz China 13,64 Mio. Fahrzeuge verkauft. Die deutschen Hersteller sind mit dabei. Allein VW steigerte seinen Absatz um 37 %. Ein Grund für den Absatzboom in China sind Subventionen, die bei Fahrzeugen mit einem Hubraum bis max. 1,6 Ltr. einen fünfprozentigen Steuererlass beinhalten. Es wird davon ausgegangen, dass das Wachstum in diesem Wirtschaftssegment in China in 2010 wieder 10 % betragen wird.

Können solche Entwicklungen nachhaltig sein. Die Antwort muss ein klares Nein sein, zumindest in ökologischer Sicht. Wie sieht aber die soziale Dimension aus. Wer gibt uns das Recht diese Entwicklung in China (und anderen Developing Countries) zu kritisieren. Müssen wir wirklich Zusammenhänge kritisieren, die zu unserer eigenen Entwicklung unabdingbar waren, wenn sie in anderen, sich gerade entwickelnden Ländern stattfinden?

Aber die Messung von Nachhaltigkeit sollte auf einer globalen Ebene erfolgen. In sich entwickelnden Ländern produzierte Waren, deren Einkommenseffekte in den entwickelten Ländern positiv sind, also sozialen Verwerfungen entgegenwirken oder dort zu einer Hebung des Einkommensniveaus führen sollten die negativen (und positiven) Auswirkungen in den produzierenden Ländern entgegengestellt werden. Ein in China produzierter PC, der in den USA als Billigrechner auf den Markt kommt, hebt dort das relative Einkommen des Käufers, der für einen (wenn es das noch gäbe) teureren amerikanischen Rechner deutlich mehr ausgeben müsste. Auf der anderen Seite ist dieser Einkommenseffekt aber durch die Art seiner Produktion mit deutlich höheren ökologischen Kosten erkauft und auch im Bereich der sozialen Kosten hat aufgrund des sehr niedrigen Einkommensniveaus der chinesischen Arbeiter nicht ohne schlechtes Gewissen zu haben. Andererseits wurden gerade in China in den letzten Jahren mehr Menschen aus der absoluten Armut geholt als jemals zuvor – und das gerade wegen dieser besonderen Produktionsverhältnisse.

Eines scheint heute zumindest klar zu sein, wenn von Nachhaltigkeit gesprochen wird. Das alte „System" wirtschaftswissenschaftlichen Denkens ist in Reinheit nur noch in seltenen Fällen vorhanden. Kein wirklich ernst zu nehmender Ökonom würde heute noch den folgenden Sätzen nicht zustimmen.

Es ist eine radikale Abkehr vom alten Denken, die erste Ökonomen … vollziehen. Lange Zeit taten sie, als sei der Wirtschaftsmarkt unsere einzige Realität – und als seien die ganze Erde, ihr Klima und ihre Lebewesen eine Art Abstellkammer, aus der man Nahrung schleppen, Rohstoffe ausgraben und in der man ungebremst Abfälle abladen kann. Auch die klassischen Ökonomen nahmen Natur als eine Ressource war – aber, …, wie viel von dieser Ressource erhalten wird hatte in der Theorie bislang keinen Einfluss auf die Wirtschaft. Dieses traditionelle Denken gipfelte in einem Ausspruch des Wirtschafts-Nobelpreisträgers Richard Solow, der meinte: Im Prinzip kann der Markt auch ohne natürliche Ressourcen auskommen. Für alles sei ein technischer Ersatz zu bekommen, wenn nur genügend große Knappheit einen lukrativen Preise für die Ersatzproduktion erlaube.

Bis sich aber eine Erkenntnis, wie sie in den folgenden Worten ausgedrückt ist durchsetzt, dürfte noch einige Zeit vergehen. Auf dem Markt hingegen strömen die Gewinne erst so richtig, wenn der letzte Konkurrent gefressen ist. Man ist dann mit den KonsumentInnen oder ZulieferInnen alle . Lineare Nahrungsketten gibt es in der Natur überhaupt nicht, sonst würde Müll anfallen: Haimüll, Löwenmüll, Tigermüll. In der Natur gibt es nur Nahrungskreisläufe. Der König der Tiere wird genauso gefressen wie die Blattlaus. Der sterbende Baum wird noch während des Abbauprozesses durch neue Pflanzen ersetzt. Durch diese zyklische Form des Stoffwechsels bleiben Ökosysteme im Gleichgewicht – im Gegensatz zum Markt: Unternehmen ist weder eine natürliche Wachstumsschranke eingebaut, noch werden sie nach einer bestimmten Lebenszeit von kleineren Unternehmen zersetzt (was ihr Wachstum und ihre Macht begrenzen würde).

Dass sich das Denken in der Wirtschaft aber langsam verändert zeigt sich auch darin, dass von einer immer größeren Anzahl von Unternehmen sogenannte Nachhaltigkeitsberichte als Teil ihrer Jahresabschlüsse oder daneben veröffentlicht werden.

Diese Nachhaltigkeitsberichte vermitteln zumindest den Eindruck, dass die Unternehmen mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen sehr gewissenhaft umgehen. Auch dass Unternehmen heute z.T. mit einem Nachhaltigkeitsrating bewertet werden, könnte dahingehend interpretiert werden, dass ähnlich eines ökonomischen Rating auch eine ökologische und soziale Bewertung der Unternehmenstätigkeit stattfindet.

Das aber ist gerade nicht der Fall. Es wird stattdessen nur bewertet inwieweit ökologisches und soziales Handeln zum ökonomischen Unternehmenserfolg beitragen. „Die Züricher Agentur Sustainable Asset Management (SAM), die den Dow Jones Sustainability Index ermittelt schreibt auf ihrer Internetseite: Beim nachhaltigen Investieren werden traditionelle Finanzbewertungsmodelle ergänzt, indem auch nichtfinanzielle Kriterien, die den Shareholder Value beeinflussen, mit berücksichtigt werden." Problematisch ist, dass dabei ein Ölkonzern besser abschneiden kann, als ein Windkraftunternehmen.

Letztlich geht es nicht um ein Rating der ökologischen Belastung , sondern ähnlich den diversen ISO-Bewertungen um die Erfüllung von Kriterienkatalogen. So wird meist nicht berücksichtigt, wie stark ein Unternehmen zum Klimawandel beiträgt. Stattdessen hat die Art und Weise, wie das Unternehmen seine Nachhaltigkeitsziele kommuniziert ein größeres Gewicht als seine tatsächlichen ökologischen und sozialen Einwirkungen.

Das gleiche gilt im Hinblick auf das Ranking von Nachhaltigkeitsberichten. Auch hier spielt es eher eine Rolle, wie als was berichtet wird. Und statt den ökologischen Fußabdruck eines Unternehmens zu dokumentieren, beschränken sich die Texte gern auf Beispiele zu einzelnen Prozess- und Produktverbesserungen ohne die das gesamte Nachhaltigkeitsverhalten eines Unternehmens darzustellen.

Ähnliche Handlungsweisen werden auch als Green Washing bezeichnet. Auch hier wird eher die Oberfläche grün gewaschen, denn die eigentlichen Handlungen verändert., m.a.W. es wird sich mit gezielten „Informationen" ein grünes oder soziales Image verschafft, ohne dass das eigene umweltschädigende Verhalten geändert wird. Hierzu werden vorzugsweise Anzeigen- und Werbekampagnen, Modellprojekte und Testimonials genutzt.

In der traditionellen Bewertung von Unternehmen spielt die Kapitalverzinsung eine herausragende Rolle. D.h. eine Investition schafft nur dann Wert, wenn sie sich höher als der marktübliche Durchschnitt verzinst. Allerdings kann ein Unternehmen nur dann auf die Dauer erfolgreich wirtschaften, wenn die ökologischen und sozialen Ressourcen dazu zur Verfügung stehen. In diesem Sinne muss sich ein Unternehmen um dauerhaft wirtschaften zu können auch ökologisch und sozial „verzinsen". Als Kennzahl hierzu bietet sich an, zu ermitteln welcher ökologische Fußabdruck entsteht um den Unternehmensgewinn zu erwirtschaften.

Daher bietet es sich an Unternehmen nicht nur nach der üblichen Kapitalrendite zu bewerten, sondern auch die Verzinsung ökologischer und sozialer Ressourcen zu berücksichtigen. Unternehmen, die ihre hohe Kapitalrendite auf Kosten von Umweltbelastungen erzielen, würden dann weitaus reeller im Sinne der Nachhaltigkeit bewertet. Wie eine solche nachhaltige Rendite oder Verzinsung berechnet werden, führt z.B. der Sustainable-Value-Ansatz vor. Er beruht auf der Idee, den Erfolg eines Unternehmens am Marktdurchschnitt zu bemessen, dabei aber eben nicht nur die Verzinsung des Kapitals in Rechnung zu stellen, sondern auch die ökologischer und sozialer Ressourcen. Die Logik einer Unternehmensbewertung, die das Kriterium Nachhaltigkeit berücksichtigt, lässt sich dabei z.B. anhand einer CO2-Rendite zeigen.

Ein Unternehmen erzielt einen Gewinn i.H. einer Summe von 3200 € durch den Ausstoß einer Tonne CO2. Der Branchendurchschnitt liegt dabei bei rd. 800 € je Tonne CO2. Ein zweites Unternehmen mit einem Gewinn von 200 € je Tonne CO2 wirtschaftet auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten deutlich schlechter, als Unternehmen 1 aber auch als der Branchendurchschnitt. Dabei kann die reine Kapitalrendite durchaus beim zweiten Unternehmen höher liegen als beim ersten.

Natürlich kann dabei nicht ein einzelnes Kriterium, wie im Beispiel der CO2-Ausstoss alleine zur Bewertung des nachhaltigen Unternehmensverhaltens dienen. Vielmehr müsste ein ganzes Kriterienbündel eingesetzt werden. Vor allem müssten neben Kriterien, die die ökologische Nachhaltigkeit messen auch Kriterien für soziale Nachhaltigkeit entwickelt werden. Hier wäre z. B. denkbar, dass die Anzahl der im gesamten (globalen) Prozess der Leistungserbringung beteiligten Personen danach unterschieden würden, ob sie einen Mindestlohn erhalten, bzw. wie hoch der Anteil der Personen ist, die eine angemessene Bezahlung erhalten. Daneben wäre es ebenfalls denkbar zu bewerten, ob die Leistungserbringung unter Verwendung von z.B. Kinderarbeit erfolgte. Generell sollte jedenfalls die Qualität der Arbeitsbedingungen im globalen Prozess der Leistungserstellung in solche Bewertungen einfließen.

Mit anderen Worten braucht es zur Nachhaltigkeitsmessung erstens die Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Kriterien neben den finanziellen Kriterien. Zweitens ist es aber auch wichtig, dass branchenbezogene Benchmarks ermittelt und den Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt werden und drittens auch branchenübergreifende Vergleichswerte um einen kontinuierlichen Vergleich auch zwischen den verschiedenen Branchen zu ermöglichen und einen Fluss von Kapitalströmen weg von Unternehmen mit einer geringen Nachhaltigkeitssensibilität und hin zu solchen Unternehmen mit einer hohen Nachhaltigkeitssensibilität zu initiieren.

Ein Reporting dieser Kriterien ist dabei sicherlich in Form einer um Nachhaltigkeitskriterien erweiterten Balanced Scorecard denkbar und auch staatlicherseits könnten z.B. bei der Bemessung der Unternehmensbesteuerung diese Kriterien eine stärkere Berücksichtigung finden, ja es ist denkbar, das die Regelungen des IFRS in dieser Richtung erweitert würden.

Allerdings hat es bereits vor Jahrzehnten Bemühungen um die Erweiterung der traditionellen Buchhaltung hin zu einer ökologischen Buchhaltung gegeben. Diese Bemühungen sind bisher aber auch daran gescheitert, dass die ökologische Buchhaltung neben die herkömmlichen Rechnungslegungssysteme gestellt werden sollten. Ziel muss es daher sein, die ökologischen und nicht zu vergessen auch die sozialen Gesichtspunkte des nachhaltigen Wirtschaftens in die herkömmlichen Rechnungslegungssysteme zu integrieren und die finanziellen Bewertungsmaßstäbe um sie zu erweitern.

 

ADAC Motorwelt, München, 2010

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